Etymologie
Serpentin (altgr. λίθος ὀφίτης [lithos ophítēs], lat. gemma serpentina bzw. (lapis) serpentina) ist ein aufgrund der Musterung und Wirkung nach der Schlange benannter Stein. Laut Plinius dem Älteren (23–79 n. Chr.) soll das Gestein in seiner Naturalis historia (Buch 36) aufgrund seiner der Schlangenhaut ähnlichen Maserung seinen Namen erhalten haben.[1] Abgesehen von der heute verbreiteten grünen Varietät wurden in der Antike auch weiße, schwarze und aschfarbene Gesteine mit vergleichbarer Schlangenmusterung als „Serpentin“ bezeichnet.
Neben der von Plinius überlieferten optischen Herleitung existieren auch medizinisch-apotropäische Traditionen, die den Namen mit einer angeblichen Wirkung gegen Schlangengift in Verbindung bringen. So berichtet die unter dem Namen Pseudo-Orpheus überlieferte Lehrdichtung Lithika, dass ein in Pulverform verabreichter „ophitischer“ Stein auf eine Wunde gestreut das Gift neutralisieren könne.[2] In mittelalterlichen lapidarischen Texten wird Serpentin zudem als Schutzstein erwähnt, der am Körper getragen vor dem Biss giftiger Tiere bewahren solle.[3]
Überlieferung & Mythos
Serpentin besitzt aufgrund seiner Vielfalt, seiner geringen Härte und seiner guten und einfachen Bearbeitbarkeit eine breite und frühe Verwendungsgeschichte. Bis heute steht in Diskussion ob es sich beim zehnten Stein im Schild des Hohepriesters von Israel um eine durchsichtige Variation des Gesteins gehandelt haben könnte. Die Beantwortung dieses Rätsels würde auch die Frage beantworten ob Serpentin repräsentativ für ein ganzes Volk sowie ein Gebiet in der Menschheitsgeschichte gestanden haben könnte. In den uns bis in die Gegenwart erhaltenen Schriften ist uns jedenfalls belegt das Serpentin neben einer medizinischen Anwendung vermehrt auch bei Tempelbauten für kleinere Säulen eingesetzt wurde. Mythologisch und begrifflich steht der Stein in einem engen Zusammenhang mit dem Symbol der Schlange sowie überhaupt der Heilkunst. Zu Pulver zerrieben wurde er in der Medizin auf Wunden gestreut und zur Neutralisierung von Schlangengift eingesetzt. Weiters band man Serpentin auf Bisswunden um deren Heilung zu fördern und setzte ihn gemäß den Überlieferungen des Dioskurides auch gegen Kopfschmerzen ein. Als Schutzstein vor Schlangen könnte er gegen diese nicht nur beim Tragen sondern eingearbeitet in Tempelanlagen auch zum Schutz und einer Vertreibung von diesen gedient haben. Neben seinen Einsatz als Säulengestein wurden vielfach auch Gefäße aus ihm gefertigt. Besonders im Mittelalter und späteren 17. Und 18. Jahrhundert war es üblich Kelche, Schalen und Krüge aus dem Gestein zu verfertigen und mit Gold zu verzieren. Legenden, Gerüchten und dem Aberglauben zufolge sollen aus Serpentin gefertigte Gefäße durch ein Zerbrechen einen etwaigen vergifteten Inhalt erkenntlich gemacht haben. Ein der herausragendsten Serpentinsammlungen befindet sich bis heute im sogenannten Grünen Gewölbe in Dresden.
Entstehung & Vorkommen
Serpentin ist eine Gruppe hydrierter Mg-Phyllosilikate mit der allgemeinen Formel (Mg,Fe)₃Si₂O₅(OH)₄, die primär durch Hydrolyse und Umwandlung ultramafischer Gesteine (v. a. Peridotit, Dunite, Pyroxenit) entsteht. Die wichtigsten Vertreter der Serpentingruppe sind Antigorit, Chrysotil und Lizardit, die sich durch Kristallstruktur, Morphologie und Stabilitätsbereich unterscheiden[1],[2].
Die Serpentinisierung erfolgt bei Temperaturen zwischen 200 und 500 °C und unter fluidreichen Bedingungen mit hoher Wasseraktivität. Dabei reagieren Olivin und Pyroxene mit H₂O zu Serpentinmineralen, Magnetit und H₂, wobei typischerweise auch Brucit, Tremolit oder Talk als Nebenphasen entstehen[3],[4]. Die Reaktion ist exotherm und volumenzunehmend, was zu Kluftbildung, Gesteinslockerung und chemischer Umverteilung führt.
Antigorit bildet sich bevorzugt unter niedrig- bis mittelhochmetamorphen Bedingungen (bis ~650 °C), während Chrysotil und Lizardit stabil im niedrigtemperierten Bereich (<350 °C) sind[5],[6]. Die Umwandlung kann sowohl ozeanisch (in der Nähe von Spreizungszonen und Subduktionsfronten) als auch kontinental erfolgen. Serpentinite gelten daher als Marker für ehemalige ozeanische Lithosphäre, etwa in Ophiolithkomplexen wie in Zypern, Oman, den Alpen oder Kalifornien[7].
Die geochemische Zusammensetzung von Serpentin reflektiert das Ausgangsgestein, wobei Mg, Si, Fe²⁺/Fe³⁺, Ni und Cr als Schlüsseltracer gelten. Isotopenanalysen (δD, δ¹⁸O) belegen vielfach eine marine Herkunft der serpentinisierenden Fluide[8]. Serpentinminerale sind zudem wichtige Wasserträger in Subduktionszonen und beeinflussen dort das geodynamische Verhalten durch Reduktion der Scherfestigkeit und Bildung von schwachen Zonen[9],[10].
Aussehen & Eigenschaften
Serpentin tritt in unterschiedlichen Texturen auf: faserig (Chrysotil), lamellar (Antigorit), blättrig (Lizardit). Die Farbe variiert von grün, grau, gelblich bis schwarz, je nach Eisen- und Nickelgehalt sowie Alterationsgrad. Die Härte liegt bei 2,5–4 (Mohs), die Dichte beträgt ca. 2,5–2,7 g/cm³ [1].
Der Glanz reicht von fettig bis seidig oder matt. Die Transparenz ist gering, meist transluzent bis opak. Der Bruch ist uneben bis splitterig, Spaltbarkeit kann je nach Modifikation vorhanden sein. Die Strichfarbe ist weiß bis hellgrün. Raman- und FTIR-Spektren zeigen charakteristische OH-Streckbänder (~3680 cm⁻¹) sowie Si-O-Streckschwingungen bei ~1000 cm⁻¹[11].
Chrysotil kristallisiert als Hohlfaser (Nanoröhrenstruktur), was seine asbestartige Faserform erklärt. Antigorit bildet gewellte Blättchen und tritt oft in massigen Aggregaten mit Schieferstruktur auf. Lizardit ist sehr feinblättrig und oft pseudomorph nach Olivin oder Pyroxen[12].
Einschlüsse und Paragenesen umfassen Brucit, Magnetit, Talk, Chlorit, Calcit oder Relikte primärer Olivine. Magnetitbildung erzeugt eine Remanenzmagnetisierung, die ozeanbodengeologisch bedeutend ist (z. B. bei "serpentinized mantle")[13].
Formel |
(Mg,Fe)₃Si₂O₅(OH)₄ |
Mineralklasse |
9 |
Kristallsystem |
monoklin oder orthorhombisch |
Mohshärte |
2,5–5,5 |
Dichte |
2,5–2,7 |
Spaltbarkeit |
gut, oft lamellar oder faserig |
Bruch |
splittrig bis uneben |
Strichfarbe |
weiß |
Farbe/Glanz |
fettig bis seidig, teils matt |
Manipulation & Imitation
Serpentin wird in der Schmuckindustrie und Steinverarbeitung gelegentlich als Dekorstein oder Skulpturmaterial genutzt, insbesondere antigoritischer Serpentin (z. B. "Noble Serpentin", "Bowenit"), der sich gut polieren lässt. Aufgrund seiner Porosität und geringen Härte ist Serpentin empfindlich gegenüber Säuren, Erhitzen und mechanischer Beanspruchung[14].
Teilweise erfolgt eine Stabilisierung durch Harz- oder Polymerimprägnierung, die durch FT-IR-Spektroskopie nachgewiesen werden kann (Banden um 2850–2950 cm⁻¹). Auch Färbungen (grün, rot, gelb) wurden dokumentiert, insbesondere bei porösem Material niedriger Qualität[15].
Serpentin wird manchmal mit Nephrit, Jadeit, Chlorit oder Talk verwechselt. Die sichere Identifikation gelingt durch Polarisation, Härte, Raman- und FT-IR-Spektroskopie sowie geochemische Analyse. Vorsicht ist geboten bei asbesthaltigen Chrysotilen, die lungengängige Fasern enthalten können – relevant bei Bearbeitung und Transport[16].